Veganer Käse „Bisher gibt es einfach noch keine sehr guten Käsealternativen“

Alles Käse: Gründer wollen eines der ältesten menschengemachten Lebensmittel überhaupt neu erfinden Quelle: PR

Veganer Käse blieb bisher in der Nische. Nun wollen zwei Unternehmen Käse ohne Kuhmilch zur Marktreife bringen. Der soll genauso schmecken wie das Original – und künftig sogar preiswerter sein.

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Camembert, Brie, Gouda, Frischkäse: Die Produktpalette von Raffael Wohlgensinger und Hille van der Kaa klingt nach dem Standardrepertoire aus der Frischetheke. Doch die Kreationen der Gründer der Start-ups Formo und Those Vegan Cowboys unterscheiden sich an einer Stelle von allen anderen Produkten am Markt: Sie kommen ganz ohne Milch aus.

Stattdessen nutzen die Käse-Revoluzzer maßgeschneiderte Mikroorganismen, mit denen sie Casein produzieren, die wichtigste Zutat in der Käseproduktion. Präzisionsfermentation nennen Experten die Technologie, bei der Bakterien oder Hefen wie winzige Fabriken ausgewählte Rohstoffe herstellen, in diesem Fall das wichtigste Protein für Camembert und Co. Und statt im Euter entsteht das Casein bei der Fermentation in einem Bioreaktor. „Wir bauen eine Kuh aus Edelstahl“, bringt van der Kaa ihre Mission auf den Punkt.

Damit wollen die Gründer eines der ältesten menschengemachten Lebensmittel überhaupt neu erfinden. Ähnlich wie bei veganen Fleischalternativen geht es darum, eine tierfreie Alternative zu schaffen. Milchkühe atmen Methan aus, ein besonders wirksames Klimagas. Laut Zahlen der Vereinten Nationen macht die Viehwirtschaft weltweit für 14,5 Prozent der Klimaemissionen verantwortlich – mehr als alle Autos, Züge, Flugzeuge und Schiffe weltweit. „Wir lieben den Geschmack von Käse, aber es ist einfach kein sehr nachhaltiges Produkt“, sagt van der Kaa.

Käse aus dem Bioreaktor dagegen könne nur ein Bruchteil der CO2-Emissionen verursachen. Um diese Idee endlich in den Massenmarkt zu bringen, haben Wohlgensinger und van der Kaa nun eine Allianz vereinbart: Formo aus Berlin und Those Vegan Cowboys aus dem belgischen Gent tun sich in zentralen Feldern zusammen: „Wir wollen Forschungsfortschritte miteinander teilen, gemeinsam regulatorische Hürden überwinden und an der Skalierung unserer Technologie arbeiten“, sagt Formo-Chef Wohlgensinger.

Weltmarkt von hunderten Milliarden Dollar  

Es ist ein ungewöhnliches Bündnis unter Start-ups, die üblicherweise im Wettrennen um Marktanteile und Investorengeldern miteinander konkurrieren. „Gemeinsam mit Formo kommen wir besser und schneller voran“, begründet van der Kaa den Schritt. Zusammen haben die beiden Start-ups mehr als 60 Wissenschaftler, die die Fermentations-Technologie zur Reife bringen können. Das sei das weltweit größte  Forschungsteam, das sich auf die Caseinentwicklung und die Präzisionsfermentation fokussiert, sagen die Gründer.

Es geht um ein gigantisches Geschäft: Der Weltmarkt für Käse wird dieses Jahr laut Daten von Statista Market Insights weltweit 240 Milliarden Dollar betragen, im Jahr 2028 soll er schon auf 315 Milliarden Dollar wachsen. Und der allergrößte Teil basiert bisher auf Kuhmilch, die aufgrund von Umwelt- und Tierschutzgründen von immer mehr Konsumenten gemieden wird: Milch aus Hafer und anderen Pflanzen hat sich in Deutschland im Jahr 2022 schon einen Marktanteil von 13 Prozent erobert.

Nur veganer Käse fristet noch ein Schattendasein. Das hat seinen Grund: „Käse ist der schwierigste Teil auf der Reise zu einer tierfreien Ernährung, sagt van der Kaa. „Bisher gibt es einfach noch keine sehr guten Käsealternativen.“ Die Produkte, die schon im Handel sind, haben immer noch einen ungewohnten Beigeschmack.

Das Geheimnis des Käses steckt in einem Protein

Was es so schwierig macht, geschmacklich an das Original aus Milch heranzukommen, ist die besondere Struktur des Caseins. „Die Struktur und Funktionalität von Casein sind so einzigartig, dass man in der Pflanzenwelt einfach noch keinen gleichwertigen Ersatz gefunden hat“, sagt Wohlgensinger. 

Anstatt eine Kugel zu formen wie die meisten Proteine, komme Casein in Form längerer Fäden daher, die durch molekulare Kräfte auf besondere Weise quasi miteinander verkleben, sich aber bei Hitze teils voneinander lösen. Dadurch bindet das Protein Geschmacksstoffe auf bestimmte Weise, bekommt Käse seine weiche Konsistenz – und zieht Fäden, wenn er dampfend aus dem Pizzaofen kommt.

Definitiv keine Molkerei:

Zwar bringt Formo noch dieses Jahr eine Käsealternative auf den Markt, die aus Koji-Proteinen produziert wird, bekannt aus Miso oder Sake. Doch schon im Jahr 2025 will Formo Käse mit Caseinen aus Präzisionsfermentation auf den Markt bringen. Dabei sollen zielgenau programmierte Mikroorganismen Casein im Bioreaktor produzieren. Hinzu kommen pflanzliche Fette und andere Zutaten. Alles zusammen reift ähnlich wie in heutigen Käsereien dann zu verschiedenen Käsesorten heran.

„Die Käsesorten, die wir so schon im Labor erzeugen, unterscheiden sich überhaupt nicht mehr von ihren Vorbildern aus Milch“, sagt Wohlgensinger. Auch bei Those Vegan Cowboys sind so schon viele Prototypen entstanden. „Die erste Kostprobe war fantastisch“, erinnert sich van der Kaa. „Das war Camembert, ohne Wenn und Aber.“

Die Managementberatung Munich Strategy sieht Chancen für die neue Produktkategorie. „Die Präzisionsfermentation hat bei den Käsealternativen das Potenzial, den Geschmack, die Konsistenz und das Mundgefühl gegenüber pflanzlichen Alternativen zu verbessern“,  urteilen die Berater. Bisher landwirtschaftlich geprägte Wertschöpfungsketten ließen sich mit fermentationsbasierten Proteinen in wesentlichen Elementen ersetzen.    

Das erste Produkt ist für nächstes Jahr geplant

Einen Unterschied hat der milchfreie Käse allerdings noch zum Original: In kleinem Maßstab produziert ist er immer noch deutlich teurer. „Wir erzeugen bisher erst begrenzte Mengen im Pilotfermenter“, sagt Wohlgensinger. 

„Wir skalieren unsere Verfahren nun hoch und bringen die Produktion in die Massenfertigung. Dann bekommen wir auch die Kosten herunter.“ Helfen soll dabei die enge Zusammenarbeit der beiden Unternehmen. Zunächst könnte Käse aus dem Bioreaktor in nachhaltig wirtschaftenden Restaurants verköstigt werden, sagte van der Kaa.

Doch das Ziel ist der Supermarkt. Ein Kostenvorteil: „Wir müssen keine Kühe groß ziehen und Milch verarbeiten.“ Stattdessen wollen die Gründer ihre Biotechnologie immer effizienter machen. „In fünf bis zehn Jahren kann unser Käse sogar preiswerter als sein als der aus Milch“, sagt Wohlgensinger. „Wir haben dann einen echten Gamechanger.“ Obendrein könne der Biotech-Käse auch noch gesünder sein, sagt van der Kaa, weil er ohne tierische Fette auskomme.

Dafür muss das neuartige Lebensmittel aber erst einmal zugelassen werden. Nächstes Jahr könnte es so weit sein. „Wir wollen unser erstes Casein-Produkt im Jahr 2025 auf den Markt bringen“, sagt Wohlgensinger. „Allerdings nicht in der EU.“ Länder wie Singapur sind schneller darin, so genanntes Novel Food, neuartige Lebensmittel also, zuzulassen, als die Behörden in Brüssel. Die Partnerschaft der beiden Start-ups soll immerhin mehr Tempo bringen, hoffen die Gründer. „Die EU-Kommission hat uns signalisiert, dass gemeinsame Zulassungsanträge schneller bearbeitet werden“, sagt Wohlgensinger.

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Dennoch rechnen die Gründer mit mindestens 18 Monaten, wahrscheinlich aber eher dreieinhalb Jahren, bis sie grünes Licht aus Brüssel bekommen. Noch ist das Rennen offen. Konkurrenten wie Standing Ovation aus Paris, Change Foods aus den USA oder Remilk aus Israel arbeiten ebenfalls am Käse der nächsten Generation. Alle müssen erst einmal zeigen, dass ihre Technik funktioniert, und das auch in größerem Maßstab.

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