Frühjahrsgutachten Die Institute wackeln bei der Schuldenbremse. Das ist kein gutes Zeichen

Die Forscher haben das Gutachten am Mittwoch vorgestellt Quelle: imago images

Die Forschungsinstitute kritisieren die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung – und liefern ihr zugleich argumentatives Futter für eine Aufweichung der Schuldenbremse. Dem Gutachten mangelt es an ordnungspolitischer Kohärenz. Ein Kommentar.

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Ostereier sollen dem Beschenkten schmecken. Doch das Osterei, das die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute der Bundesregierung mit ihrem Frühjahrsgutachten ins Nest gelegt haben, wird einigen Politikern der Ampelkoalition kaum munden. Nicht, dass der Wirtschafts- oder der Finanzminister von der Abwärtsrevision der Wachstumsprognose auf mickrige 0,1 Prozent in diesem Jahr (nach 1,3 Prozent im Herbstgutachten) überrascht worden wäre. Die Bundesregierung rechnet selbst nur mit einem Bonsai-Wachstum von 0,2 Prozent. 

Für Unmut dürfte vielmehr die scharfe Kritik sorgen, mit der die Institute die Wirtschaftspolitik der Regierung bedenken. Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einer konjunkturellen Schwächephase, die durch strukturelle Probleme verstärkt werde. Das Land sei von „schwindenden Wachstumskräften“ gezeichnet. Die Dynamik der konjunkturellen Erholung, die die Institutsökonomen für die nächsten Quartale erwarten, werde daher „nicht allzu groß ausfallen“, heißt es in dem Gutachten. Denn die „Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik“ der Ampelregierung belaste die Investitionen der Unternehmen. Diese werden trotz konjunktureller Erholung im nächsten Jahr gerade einmal das Niveau des Jahres 2017 erreichen. 

Dazu kommt, dass die Produktivität in Deutschland seit Jahren auf der Stelle tritt, die Exporte, die früher die Initialzündung für Aufschwünge lieferten, am Boden liegen und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit bei energieintensiven Gütern dahin ist. 

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Hoffen auf den Konsum

Hoffnung setzen die Institute auf den privaten Konsum, er soll in diesem Jahr zur „wichtigsten Triebkraft für die Konjunktur“ werden. So dürften die Reallöhne dank hoher Tarifabschlüsse und sinkender Teuerungsraten die Verluste aus den vergangenen zwei Jahren allmählich wettmachen. Im Laufe des nächsten Jahres werden sie wieder ihr Niveau von Ende 2021 erreichen, glauben die Forscher. 

Ob die Konsumenten tatsächlich bald wieder in die Einkaufsmalls strömen, ist allerdings unsicher. Das allgemeine Hickhack der Ampelregierung in Berlin und der wachstumsschädliche Kurs insbesondere in der Wirtschaftspolitik verunsichern die Verbraucher. Daher sollte nicht überraschen, wenn sie die prognostizierten Einkommenszuwächse lieber auf die hohe Kante legen als damit die Kassen im Einzelhandel zum Klingeln zu bringen.  

Dass die Wirtschaft im nächsten Jahr um 1,4 Prozent wächst, wie die Institute in Aussicht stellen, ist daher noch nicht ausgemacht. Es wäre geradezu ein spektakulärer Boom. Denn die Rate, mit der die Wirtschaft in den nächsten Jahren bei normaler Auslastung ihrer Kapazitäten wachsen kann, taxieren die Institute auf gerade einmal 0,5 Prozent. Von 1997 bis 2023 lag die Rate noch bei 1,3 Prozent, also fast drei Mal so hoch. Das Absacken des langfristigen Wachstumstrends beruht neben der schwachen Investitionstätigkeit auf der nachlassenden Arbeitsbereitschaft der Bürger, von denen ein wachsender Teil lieber in Teil- als in Vollzeit arbeitet. Im Durschnitt wird die Arbeitszeit je Erwerbstätigen in den nächsten Jahren um 0,2 Prozent pro Jahr sinken, erwarten die Institute.  

Schuldenbremse mit weniger Bremskraft

In ihrem Gutachten nehmen die Forscher auch Stellung zur Diskussion um die Reform der Schuldenbremse. Diese ist insbesondere Politikern der SPD und der Grünen ein Dorn im Auge. Sie sehen darin ein Hindernis für staatliche Investitionen. Was die Institute zu dem Thema zu Papier gebracht haben, ist widersprüchlich und kann nicht überzeugen.

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So argumentieren sie zwar, dass das Wohl und Wehe des Standorts nicht von einer Reform der Schuldenbremse abhängt. Bevor diese 2016 für den Bund und 2020 für die Länder eingeführt wurde, konnte sich die Bundesregierung bis zur Höhe ihrer Ausgaben für Investitionen verschulden. Dennoch haben sich die staatlichen Investitionen von den frühen 1970er-Jahren bis Mitte der 1980er-Jahre auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nahezu halbiert. Bis 2005 ist die Quote weiter auf 1,9 Prozent abgesackt. Maßgeblich dafür waren die schrumpfenden Investitionen der Kommunen.

Seit 2005 aber nimmt die Investitionsquote der Gebietskörperschaften wieder zu. Daran hat auch die Schuldenbremse nichts geändert. Insgesamt zeige sich „kein negativer Einfluss der Schuldenbremse auf die Investitionsquote“, schreiben die Institute. Angesichts dieser Tatsache hätten die Forscher gut daran getan, sich (abgesehen von kleineren Modifikationen zur Berechnung der Schuldenbremse und zu einem Übergangszeitraum für ihre Wiederscharfstellung nach Notlagen) konsequent gegen jede Aufweichung der Schuldenbremse auszusprechen.

Stattdessen diskutieren sie in ihrem Gutachten ausführlich einen Reformvorschlag der Bundesbank, der eine von der Höhe des Schuldenstandes abhängige Anhebung der Neuverschuldungsobergrenze des Bundes vorsieht und damit die Schuldenbremse aufweicht. In der Pressemitteilung zum Gutachten machen sich die Institutsökonomen den Bundesbank-Vorschlag zu eigen.  

Munition für Schuldenpolitiker

Damit stärken sie all jene Kräfte in der Ampelregierung, die die Schuldenbremse lieber heute als morgen auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen wollen. Dabei mangelt es dem Staat, der rund 48 Prozent des im Inland erwirtschafteten Einkommens durch Steuern und Abgaben in seine Kassen lenkt, keineswegs an Geld, um Investitionen zu finanzieren. Woran es mangelt, ist die Bereitschaft der Politiker, auf der Ausgabenseite des Budgets Prioritäten zu setzen, indem sie Leistungsanreize sedierende Sozialausgaben und Subventionen zugunsten wachstumsfördernder investiver Ausgaben zurückschneiden. 

Auf diesen Missstand hätten die Institute gerade auch mit Blick auf künftige Generationen hinweisen sollen. Stattdessen liefern sie jenen Politikern eine argumentative Steilvorlage, die immerzu von Nachhaltigkeit reden, ihren Nachfahren aber einen Haufen Schulden zur Finanzierung eines Kapitalstocks hinterlassen wollen, von dem sie nicht einmal wissen können, ob ihn die Nachgeborenen wollen. 

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So betrachtet ist das Gutachten ein Osterei, das auch künftigen Generationen kaum schmecken dürfte, sollten sie es dereinst lesen. 

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