Lange Zeit galt der Computerkonzern Dell als Vorreiter der modernen Arbeitswelt. Denn schon lange vor der Homeoffice-Welle während der Coronapandemie setzte das Unternehmen auf die Remote-Arbeit. Seit fast zehn Jahren wählen die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz selbst.
„Wenn Sie sich darauf verlassen, dass erzwungene Arbeitszeiten in einem traditionellen Büro die Zusammenarbeit fördern und ein Gefühl der Zugehörigkeit innerhalb Ihres Unternehmens schaffen, machen Sie es falsch“, schrieb Firmenchef Michael Dell noch vor einigen Jahren auf LinkedIn. Doch nun scheint sich seine Meinung geändert zu haben. Er stellt eine Bedingung: Wer die Position wechseln oder befördert werden möchte, müsse ins Büro kommen. Kurzum: Bei Dell gibt es künftig keine Aufstiegschancen für Remote-Arbeiter.
Wie der „Business Insider“ berichtet, habe der Konzern bereits im Februar angekündigt, dass die Belegschaft wieder mehr ins Büro kommen solle. Dazu sollen die Mitarbeitenden in „Hybrid“- und „Remote-Arbeiter“ eingeteilt werden. Doch wer Remote arbeiten möchte, der müsse sich bewusst sein, dass es Nachteile gebe, heißt es in den Konzernunterlagen. Darin steht: „Für einen Karriereschritt, inklusive der Bewerbung auf andere Positionen innerhalb der Firma, ist für die Team-Mitglieder die Klassifikation als Hybrid-Arbeiter Voraussetzung.“ 39 Tage pro Quartal müssen die Angestellten in ein „genehmigtes“ Büro kommen.
Dell-Mitarbeiter unzufrieden
Bei den Mitarbeitenden von Dell stößt die neue Regelung nicht auf Begeisterung. „Die ganze Belegschaft beschwert sich hinter den Kulissen darüber“, berichtet ein Angestellter dem „Business Insider“. Und auch Arbeitsmarkt-Experte Philipp Grunau vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnt vor negativen Folgen: „Es geben viele Beschäftigte an, sich nach anderen Arbeitgebern umsehen zu wollen, sollten sie wieder zu häufig ins Büro gezwungen werden. Das könnte dann ein konkurrierendes Unternehmen nutzen, indem es rare Fachkräfte mit großzügigen Mobilarbeitsregelungen abwirbt.“
Eine Studie vom Ifo-Institut zeigt: 26 Prozent der Befragten wären bereit zu kündigen oder sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen, sollte ihr Arbeitgeber nur noch Präsenzarbeit anbieten. In den USA seien es sogar 40 Prozent.
Tipps für den Umgang mit Mitarbeitern im Homeoffice
Damit effizientes Arbeiten von zu Hause aus möglich ist, sollten bereits vorab klare Ziele und Ergebnisse bestimmt werden: Welche Aufgaben soll der Mitarbeiter bis zu welchem Termin zu Hause erledigen?
Eindeutige Regelungen helfen bei der Steuerung von Gruppen, in denen Mitarbeiter sowohl im Büro als auch im Homeoffice arbeiten. Kommunizieren Sie die Regeln offen an alle Teammitglieder. So beugen Sie möglichen Vorurteilen gegenüber einer vermeintlichen Besserstellung eines Mitarbeiters vor.
Machen Sie Ihren Mitarbeitern deutlich, dass Homeoffice für gewisse Aufgaben und zu gewissen Zeiten möglich ist, aber keinesfalls eine regelmäßige Präsenz im Büro sowie Anwesenheit bei wichtigen Terminen oder bei Teambesprechungen ersetzen kann.
Dells Argument, mit einer Rückkehr ins Büro die Fachkräfte an sich zu binden, könnte demnach nach hinten losgehen. Denn viele Teams sind über zwei bis drei US-Staaten verteilt. Zusammen im Büro sitzen und als Team kreativ arbeiten würden sie trotz Präsenz also nicht. „Prinzipiell stärkt Homeoffice die Mitarbeiterbindung an das Unternehmen. Doch dennoch gibt es Aspekte der Zusammenarbeit, die im virtuellen Raum schlechter funktionieren“, erläutert Grunau. Demnach hänge es sehr stark von den Bedürfnissen ab, wie viel Homeoffice-Zeit von den einzelnen Mitarbeiten gewünscht wird.
Bei den Angestellten von Dell kommt jedoch das Problem hinzu, dass sie nicht unbedingt in der Nähe der „genehmigten“ Büros leben. Viele sind für günstige Mieten aufs Land zogen und meiden die teuren Tech-Städte im Silicon Valley. Wieso genau der Computerkonzern nun diesen Schritt geht, kann Grunau nicht sagen. Es gäbe verschiedene Möglichkeiten. Zum einen könnten die Beschäftigten im Büro produktiver sein oder die Führungskräfte möchten mehr Kontrolle über die Angestellten haben. „Aber auch im Büro hat man nicht die volle Kontrolle darüber, was die Mitarbeitenden machen“, stellt der Experte klar. „Für die Bindung ist es das Beste, auf die Bedürfnisse aller einzugehen. Das ist jedoch in der Realität nicht immer umsetzbar.“ Das heißt also: Sollten die Dell-Mitarbeiten nicht mit der neuen Regel zufrieden sein, könnten sie den Weg zur Konkurrenz suchen.
„Eine Abkehr vom Homeoffice stellt das nicht da“
Überraschend kommt der Schritt zurück ins Büro für Grunau nicht. „Das entspricht einem Trend, der in den letzten Monaten verstärkt durch die Medien geht. Zu hoch gehängt sollte dieser aber nicht werden, die Auswertungen, die es dazu bisher gibt, zeigen nur einen leichten Abwärtstrend in der Homeoffice-Nutzung“, erklärt er. „Eine Abkehr vom Homeoffice stellt das also nicht dar.“
Das Vorgehen, die Remote-Arbeiter künftig zu benachteiligen, sei jedoch neu. „Die Forschung zeigt zwar, dass insbesondere vor der Pandemie Beschäftigte, die viel im Homeoffice gearbeitet hatten, bei gleicher Leistung deutlich seltener befördert wurden.“
Doch wie sinnvoll ist es von Dell, diesen Schritt zu gehen? Der Grund für die neue Regelung sei die bessere Zusammenarbeit vor Ort, heißt es offiziell. Oft stecken jedoch finanzielle Gründe dahinter. Zum einen stehen die teuren Büros im Silicon Valley lange leer. Auf der anderen Seite kann das Unternehmen so Mitarbeiter kostengünstig und schnell entlassen. Denn wie bei anderen Techfirmen macht die Kündigungswelle auch vor Dell keinen Halt: Im vergangenen Jahr wurden rund 6500 Stellen gestrichen.
Forschende uneinig über Homeoffice-Nutzung
Die Frage, wie gut oder schlecht Homeoffice ist, ist in der Wissenschaft noch nicht endgültig geklärt. Dennoch gibt es Studien, die das Für und Wider der Heimarbeit aufzeigen.
Eine Studie, an der unter anderem Wissenschaftler aus Stanford, London und Chicago arbeiteten, zeigt die Zeitersparnis im Homeoffice. 72 Minuten bleiben Beschäftigten in 27 untersuchten Ländern im Schnitt pro Arbeitstag im Homeoffice übrig. Davon würde 40 Prozent der eingesparten Zeit von den Beschäftigten genutzt werden, um zu arbeiten. Und aus einem weiteren Grund würden Arbeitgeber vom Homeoffice profitieren. So sagte Studienautor Cevat Giray Aksoy gegenüber der WirtschaftsWoche: „Lange Pendelzeiten, unvorhersehbare Fahrzeiten und überlastete Straßen senken die Produktivität der Arbeitnehmer.“
Ein Forscherteam der MIT Sloan School of Management, der Harvard University und der Cornell University fand dahingehend heraus: Wer in der regulären Zeit am heimischen Schreibtisch arbeitet, steigert so das eigene Wohlbefinden – und ist sogar zufriedener im Job.
Doch die Heimarbeit bringt auch Nachteile mit sich. Eine Forschungsgruppe vom Institut für Arbeitsmedizin an der Berliner Charité fand heraus: Je mehr Arbeitszeit Beschäftigte nämlich im Homeoffice verbrachten, desto häufiger berichteten sie von Stresssymptomen.
Dennoch sei es aus Grunaus Sicht „legitim und richtig“, den Umfang für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite „basierend auf den Erfahrungen zu optimieren“. Denn Studien zeigen auch: Beschäftigte mit Homeoffice-Wunsch seien bereit, Kompromisse einzugehen – beispielsweise beim Gehalt.
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